Ich mag stumme traurige lustige Helden, die Grimassen machen können. Und ich habe darauf gewartet, dass Sie die E-Mail-Pause endlich beenden. Ich werde im Anschluss daran versuchen, Ihnen die Beweggründe dafür darzulegen. Mir fehlen Ihre Kontroll-E-Mails. Sie haben eine sehr erotische Stimme, Emmi. Sie schrieben gestern: »Wir dürfen nicht beginnen, in die Privatsphäre des anderen einzudringen.« Ich sage Ihnen etwas: Was wir hier tun, worüber wir hier reden, ist Privatsphäre, Privatsphäre und nichts als Privatsphäre, von den ersten E-Mails an in steter Steigerung bis heute. unterteilen, die jeweils einstündige Referate erforderlich machen. 2.) Ah ja. Dann könnten Sie zu sich oder zu Bernhard oder zu beiden sagen: Siehst du, war doch gut, dass ich ihn damals getroffen habe. Ich kann heute nicht schlafen. Trauen wir uns! 18 Minuten später AW: Liebe Emmi, Ihre entwaffnende und sich selbst entlarvende Offenheit in Ehren: Aber »nicht verletzend« zu sein, zählt nicht zu Ihren Stärken. Täglich werde ich eine Kerze für ihn anzünden. Ja natürlich, das wäre alles noch steigerbar. Ich würde Sie sogar blind küssen. Hier ist sie, und sie ist ganz harmlos. Ich werde kein Eindringling im Hause Rothner sein, die Emmi okkupiere ich 132 nur auf dem Bildschirm! Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten. Ich habe hier der Versuchung widerstanden, gleich weiterzulesen und noch weiterzulesen und vielleicht das Buch an einem Tag zu verschlingen. (Schuhgröße etwa 37!!!) Wir können das nicht leben, was wir schreiben. Das werde ich mir aber bald nicht mehr leisten können.) Sie verstehen schon, was ich meine. Übrigens halte ich meine früher einmal geäußerte Personenbeschreibung nicht mehr aufrecht. Der CDPlayer sagt: Vielleicht kommt es noch so weit, und du wirst nicht mehr Rachmaninow spielen – du weißt, du und Bernhard, euch verbindet nicht zuletzt die Musik –, sondern du wirst dir anhören, was dieser Leo gerne hört, vielleicht die Sugar Babes! Sonja war sehr überrascht. Eine Minute später AW: Das überlasse ich Ihrem Geschmack, Emmi. Da ist mit Ihnen ausnahmsweise der Klischee-Mann durchgegangen. – Vielleicht will Mia gar nicht, dass Sie es wissen, wenn es tatsächlich der Fall ist. Ich will wissen, wie Sie Ihre Ehe meistern, wie Sie mit den Kindern zurechtkommen und all diese Dinge. Sie haben sich da wieder schöne Sachen zusammengereimt. Also was ist es, Emmi? Eine halbe Stunde später AW: Da richte ich mich ganz nach Ihnen. Zu Ihrem »Viertens«: Wenn Sie eingestehen, dass Sie identisch mit einer meiner drei Emmi-Kandidatinnen sind, dann gebe ich Ihnen einen Hinweis, wer ich gewesen sein könnte. Jedes Muttermal ist bei ihr durchtrainiert. Ich habe Sehnsucht nach meiner Emmi. Ich fahre jetzt. Drei Minuten später AW: Man soll nie ans »Verlieren« denken. Bitte!!! Oder man hat weder dies noch das noch jenes – man hat niemanden. Wenn Emmi etwas will, dann will sie alles. Träumen Sie noch oder schlafen Sie schon? Ich hoffe, in Ihrer Familie ist gesundheitlich wieder so weit alles in Ordnung. Und nun noch einmal meine Frage: Nicht länger als zwanzig Sekunden, liege ich richtig? Ich wollte diese Familie und keine andere, bis heute nicht. Ich mache mir wegen unserer Begegnung keine Sorgen. Sie reiben mich auf, ich kann an nichts anderes mehr denken! Aber wenn ich mithelfen kann, ein kleines Theater zu retten, wie vor Kurzem in Bonn das Eurotheater Central, oder einer Frau, die einen Schutzhof für Tiere unterhält, wie jetzt in Husum, dann bin ich gern dabei, dann geht der Eintritt oder die Gage komplett an den guten Zweck. Trinken wir noch einen auf uns! Ich dachte mir auch: Leo, warum musst du da eine Frau mit hineinziehen, die überhaupt nichts mit deiner vergangenen Geschichte zu tun hat? Eine Minute später AW: Oh doch! Ich bin für – treffen! Sechs Minuten später RE: Lieber Leo, tun Sie nicht so scheinheilig! Wenn Sie mir die Zeitung dennoch weiter schicken, so betrachte ich das als Ihr Privatvergnügen. Noch mehr danke ich für den Test! Getränke: Kaffee, Mineralwasser. Sie können schreiben, was Sie wollen. Sie sind der, der mir meine ungestellten Fragen beantwortet: Ja, ich fühle mich einsam, und deshalb schreibe ich Ihnen! Vielleicht hast du dich in ein knisterndes Geheimnis verliebt«, sagt Mia. Das ist nämlich von vornherein keine Möglichkeit. Für diesen Fall gratuliere ich Ihnen: In der kurzen Zeit ist Ihnen eine tadellose Mitteilung gelungen. Google kennt Sie jedenfalls nicht oder versteht es, Sie gut zu verstecken. Ich finde es spannend, dass Sie sich so auf einen Menschen einlassen können, den Sie gar nicht kennen, den Sie noch nie gesehen haben und wahrscheinlich auch niemals sehen werden, von dem Sie auch sonst nichts zu erwarten haben, wo Sie gar nicht wissen können, ob da jemals irgend etwas Adäquates zurückkommt. Was halten Sie von meiner Idee der Begegnung? „Gut gegen Nordwind“, der E-Mail-Liebesroman von Daniel Glattauer ist zum Bestseller geworden. So, und jetzt zu ein paar Punkten: 1.) Eine Minute später RE: Das ist Erpressung, Meister Leo! Haben Sie das Interesse an mir verloren? Gut erklärt? So, jetzt lasse ich Sie mit Ihrer Solostimme allein. Ich habe gerade mit Mia gesprochen. Und dazu möchte ich gern Ihre Augen sehen, Ihre echten Augen! Ich treffe einen Freund. Und sie? Doch sie bringt uns offensichtlich immer weiter auseinander. Scheißwetter heute, stimmt's? 84 25 Sekunden später RE: Mir nicht, aber Ihnen! Wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie selbst es wollen, dann tun Sie es bitte für mich. Ich wünsche es mir sehr! Nächster Termin : 03.04.2021 | 17:00 Uhr Alexandra Kamp und Ralf Bauer im Glattauer-Doppelpack mit GUT GEGEN NORDWIND und ALLE 7 WELLEN. Er ist so ein gebildeter, selbstloser, ruhiger, angenehmer Mann. Nur noch sechs Tage! Lieber bemitleide ich jemanden. Ich schrieb sofort zurück: »Marlene, ich will dich heiraten! Ich bin beinahe stolz, dass ich da so schicksalhaft hineinspiele. Leo Leike. Nacht! Auch wenn er bei Fans des Buchs und auch des Theaterstücks polarisiert. Sie schreiben mir E-Mails und schicken sie nicht ab. Guten Abend, gute Nacht, je nachdem. Ich schreibe gerne Emmi. Sie können den Kopf beim Fester lassen. Am Sonntag, 8. Sie haben mir gefehlt! Was sagen Sie? Emmi, angenommen Sie verlieben sich in mich und ich mich in Sie, angenommen wir haben eine Romanze, Affäre, Liebschaft ... nennen Sie es, wie 203 Sie wollen, Emmi, machen Sie dann auch nichts, was Ihr Zusammenleben mit Bernhard in Frage stellt, oder irgendwann einmal in Frage stellen könnte? Wissen Sie Leo, bei Marlene verzeih ich es Ihnen. (»Verraten« mit »V« wie Verrat?) Ist der Rahmen unserer Unterhaltung nicht ausschließlich das gegenseitige Interesse an einer jeweils völlig fremden Person? Ich möchte, dass wir uns weiter schreiben. Er ist eingegipst. Es ist einfach ein Treffen. 654 likes. Leo, Sie Unschuldsengel, Sie schüchterner Romantiker! Und ich bin sicher, dass es auch Ihnen nach dem Treffen gut gehen wird. Nicht melden ist unfair! Drei Minuten später AW: Letzte Nacht habe ich intensiv von Ihnen geträumt, Emmi. Ich schreibe also wie 30, sagen Sie. Ihnen ist hoffentlich klar, dass Sie mir, Ihrer »virtuellen Fantasiegestalt«, Ihrem »illusionistischen Phantombild«, gerade Außergewöhnliches von sich verraten haben. Vielleicht waren gar nicht so viele »auffallend interessante Frauen« im Lokal. Wissen Sie jetzt, welche der drei Emmis mit Schuhgröße 37 ich bin? Leo, Leo, wo treiben Sie sich in der Nacht herum? Lieber Gruß, Emmi. (Oder beides.) Emmi, ich schicke das jetzt weg. So hatte ich es leicht: Ich musste nur nach attraktiven Frauen Ausschau halten, die erstens suchend wirkten (wie gut oder schlecht auch immer getarnt) und die zweitens Schuhgröße 37 haben konnten. 50 Sekunden später AW: Das ist schön, dass ich mitunter schon Ihr Zuhause bin! Das kennen Sie bestimmt. Sie haben sie auf mich angesetzt. Ich verstehe Sie nicht. 3.) Leo, ich brauche Sie! Nicht, dass ich hier darum kämpfe, so zu schreiben, dass Sie meinen könnten, ich sei jünger als 20 Jahre. Fragen sind schwer zu sprechen, wenn man das erste Mal zu jemandem spricht. Neun Minuten später AW: Ach ja, richtig, Sie begeben sich ja nur in Ihre familiär vernachlässigbare »Außenwelt«. Kein Zauber mehr, keine Illusionen. Knapp unter 40. Sie sind. Gab es vielleicht auch schon ein »Montagstreffen«? Und der Nordwind ist abgeflaut. Ich hatte nie vor, Sie näher kennen zu lernen, näher als es im elektronischen Briefaustausch möglich ist. – Eine ausweichende Antwort ist auch eine Antwort. Am Nachmittag erhielt ich – nein, nicht einmal einen Anruf, ich erhielt eine katastrophale E-Mail von ihr: »Leo, es geht nicht, ich kann nicht, Paris wäre nur wieder eine neue Lüge. Wie stellen Sie sich das vor? Sie könnten mich auf Ihrem Piano begleiten ... 55 Sekunden später RE: Jetzt! Ich meine: Ich bin erstaunt. Da gab es keine »Sache«. Typ: feminin, sinnlich, schüchtern, scheu. Das war ein ganz großer Vertrauensbeweis. Es ist unterdessen Nacht geworden. 81 Zehn Minuten später AW: Ich lese es aus der Art, wie Sie mir zu verstehen geben, dass Sie irgendwas von mir wollen. Sie können sich aus einem »auffallend interessanten« Angebot die Emmi Rothner Ihrer Lust, Laune und Fantasiekraft wählen. Weil Sie alleine zu Hause sind. Zwei Stunden später RE: Lieber »Professor«, ich mag Ihren Humor, er ist nur einen Halbton von der chronischen Ernsthaftigkeit 19 entfernt und klingt deshalb besonders schräg!! Ich steigere mich gerade in etwas hinein und will dabei nicht gestört werden. Neues gibt es – nichts. 254 Drei Minuten später AW: Morgen? Spannung ist nicht der Mangel an Vollkommenem, sondern das stete Zusteuern darauf und das wiederholte Festhalten daran. 20 Minuten später AW: Und wenn Sie erst in der Früh nach Hause kommen? Wir waren zwei Nächte im Spital. Kann es sein, dass Sie das Interesse an mir verloren haben, weil ich noch dazu »glücklich vergeben« bin? Leben Sie wohl! Hochachtungsvoll, E. Rothner. Fünf Minuten später AW: Emmi, ich habe noch mit keinem einzigen Wort über Ehe gesprochen. Ich habe den ganzen Abend getrunken und gewartet, bis es Mitternacht wird, bis mich Emmi besuchen kommt. Entweder wieder das Messecafé Huber oder das Europa oder Café Paris, ganz egal. (Sehr gemein, ich weiß, aber das müssen Sie sich jetzt anhören.) Der 2006 vom österreichischen Schriftsteller Daniel Glattauer veröffentlichte Roman Gut gegen Nordwind handelt von dem E-Mailaustausch zwischen zwei einander fremden Personen, Emmi und Leo, die durch einen Zufall in Kontakt treten und deren Verhältnis mit der Zeit immer intensiver wird. Eine Minute später RE: Alles ist eine Möglichkeit. Aber Rom wäre da noch schlimmer gewesen. Am nächsten Morgen Kein Betreff Guten Morgen Leo, ich habe nicht geschlafen. Aber Musik ist Leben, solange sie erklingt, stirbt nichts für immer. Ist Ihnen 19 Uhr recht? Schreiben Sie aber nichts, was Sie heute Früh oder Vormittag nach dem Aufwachen aus dem Delirium schon bereuen könnten. Ich will, dass sie von alleine schön sind. Ja, natürlich! 167 50 Sekunden später RE: Mehr fällt Ihnen dazu nicht ein? 18 Minuten später RE: Okay, okay, Entschuldigung! Ich bin im Annehmen von Annahmen sonst gar nicht so schlecht. Freundlichst, Emmi. Drei Minuten später AW: Ja, tatsächlich? Schlank, lange Beine. Ich wage jetzt nicht einmal, Ihnen »Gute Nacht« zu wünschen. Aber unterschiedlicher können drei Frauen mit ein und derselben Schuhgröße ohnehin nicht sein, so, wie Sie sie beschreiben. Aber doch niemals eine Frau 158 für Leo – dachte ich zumindest. 273. Gute Nacht! Drei Stunden später AW: Hallo Emmi, ich bin zwar schon zurück – aber leider 144 noch sehr im Stress. Besetzung: 1D, 1H In TTX seit: 25.05.2009. Leider steht er noch nicht unter Vollnarkose. Soll ich Ihnen ein paar lang gestreckte, eng anliegende Finger zum Handkuss servieren? Emmi war für mich Marlene, Marlene ganz am Anfang, wo noch alles offen war. Das kann zu nichts führen. Dann können wir noch eine Weile auf der Terrasse sitzen. Wenn Sie von Ihrem Mann reden, Emmi, dann klingt das immer ein bisschen so, als wollten Sie mir zeigen, wie separiert und unabhängig man leben kann, wenn oder obwohl oder gerade weil man glücklich verheiratet ist. Marlene ist viel kühler als Sie, Emmi. Ich war bereits knapp dran, mir ein Like-Abonnement zuzulegen. Ich mache die Augen zu. Eine Minute später AW: Dann lesen Sie – und danach drehen Sie sich um und schlafen mit den Zehen schräg zum Fenster ein. Fünf Minuten später AW: Natürlich! Was sich ergibt? Sie sind für mich (trotz Ehemann und Kindern) etwas jünger geworden, Frau Emma Rothner. Krieg ich heute keine E-Mail von Leo? Nie, nie, nie! Das hat mir die Linke bis heute nicht verziehen. Zwölf Minuten später AW: Emmi, noch nicht schlafen gehen! Zwei Tage später Betreff: Okay Hallo Leo, von mir aus, riskieren wir es, treffen wir uns, ist auch schon egal. Am nächsten Tag Kein Betreff Wie geht's eigentlich Marlene? Gegessen. 2.) Drei Minuten später RE: Solche Fragen machen Ihnen Spaß, stimmt's? Vielleicht war er doch das Zottelmonster ... 61 KAPITEL DREI Am nächsten Tag Betreff: Albtraum Leo Leike, ich weiß es!! SIE 155 waren es doch, die Mia und mich zusammengebracht hat. Sie mag nicht, wie ich über meine Ehe rede. Froschkönig. Sie hat gemeint – irgendwas aus der Apotheke. Zu Ihrem »Drittens«: Die Frage, welche der drei mir am liebsten wäre, stellt sich nicht. Sie sind mit dem Chef befreundet, und der hat Ihnen erlaubt, für zwei Stunden Kellner zu spielen, stimmt's? 262 Drei Minuten später RE: Sie halten es für möglich, dass ich erst in der Früh nach Hause komme? Das ist ja doch kein Ausschnitt aus dem wirklichen Leben. Treffen wir uns heute Abend? Ich: Gar nichts. Zwei Minuten später RE: Mitternacht ist wunderbar! Nach fünf Jahren Gegenwart ohne Zukunft habe ich endlich in die Mitvergangenheit gefunden. Bitte! Emmi Rothner. Schade, dass Sie verheiratet sind. Was es ist, können Sie zwar erst sagen, wenn Sie mich kennen gelernt haben. Marlene ist eine sehr nüchterne Frau, aber faszinierend, das sagt jeder, der sie kennt. Lassen Sie sich entführen, verführen und berühren vom Liebesroman der heutigen Zeit; gepaart mit zeitloser und gefühlvoller Musik. Schönen Abend, Leo. – Das ist Mia. Vielleicht macht das das Schreibprogramm automatisch. Wann sehen wir dich denn wieder im Fernsehen? Bernhard, ja Bernhard wäre der Richtige, denke ich. Aber morgen kriegen Sie von mir eine anständige Analyse, wenn Sie erlauben. Aber es besteht kein Grund für uns, nun Tristan und Isolde auf virtuell daraus zu machen. Alles war möglich. Am nächsten Tag Betreff: Mia Hallo Leo, wie geht es Ihnen? – Ja, ich schlafe mit dem Kopf schräg zum Fenster. Textanalyse – Gut gegen Nordwind Der Liebesroman „Gut gegen Nordwind“ wurde 2006 von Daniel Glattauer verfasst und handelt von Emmi Rothner und Leo Leike, die durch einen intensiven E-Mailwechsel eine starke Beziehung aufbauen. Fassen Sie das ruhig als Drohung auf. Wenn ich auf die vergangenen Tage und Wochen zurückblicke, vergeht mir das Lachen. Es gibt so viel zu erklären! Wollten Sie wirklich, dass ich zu Ihnen komme? (Nein, nicht so ähnlich, sondern wortwörtlich.) Daniel Glattauer „Gut gegen Nordwind“ (2006) Didaktisierung „Gut gegen Nordwind“ von Daniel Glattauer ist ein literarischer Text, der sich sowohl im Anfänger_innenunterricht als auch bei Fortgeschrittenen gut einsetzen lässt. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob mich dieses Buch schon beim ersten Mal so aufgewühlt hat, aber dieses Mal hat es definitiv seine Spuren hinterlassen. 65 Neun Minuten später AW: Und gefalle ich Ihnen wenigstens, ich meine – optisch? Monnem- doi Musical! Ich bin bestürzt. Wissen Sie's? Sie mag nicht, wie ich über meinen ... wie ich über Leo rede. Schlafen Sie gut, und träumen Sie sinnvoll. Aus dem Amerikanischen von Michael Bayer Es ist, als hätte ich zum idealsten aller Zeitpunkte nun endlich ausgesprochen, was Marlene schon seit Jahren auf der Zunge gelegen sein muss: LEO, ES IST AUS, DENN ES WAR NIE AN! Fünf Minuten später RE: Leo, ich warte fast immer darauf, dass Sie als Erster schreiben, aber meistens vergeblich. Da kommt Ihnen der Sommer entgegen. Warum eigentlich? Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass ich Sie nachher verliere. Eineinhalb Stunden später AW: Warum gerade die drei? (lacht) Das kenne ich. Soeben hat es mich aus dem Bett gehoben. Aber knapp vorher hat sie es bemerkt und hat Ihnen ins Ohr geflüstert: »Leo, nein, das wäre jetzt nicht gut für uns. Ich habe Sehnsucht nach Ihnen. Sehr sogar! Steht Ihnen gut, das Unkontrollierte! Naiv wie ein Zwanzigjähriger. Was sagt eigentlich Ihr Mann dazu? Ja? Gar nicht viel. Mit freundlichen Grüßen, Bernhard Rothner. Wissen Sie, was ich meine? Ah, machen wir es wirklich? Sie wollen kein Chatroom-Geplänkel. Oder andersrum: Sollte ich tatsächlich eine der drei gewesen sein, muss ich Sie ebenfalls sehr genau wahrgenommen haben. Ich schreibe einfach munter drauflos. Aber ich bin sicher, dass Sie noch munter sind. Zwei Tage später Betreff: Meine letzte Mail Meine letzte Mail ohne Gegenmail! Und »mein Bernhard« ist um einiges älter als ich. Ist es Ihnen nunmehr egal, ob ich mich nächtelang in den Plüschbars herumtreibe? Ich erinnere Sie an Ihren Punkt 2.) Herzlichst, die gewisse 37er-Emmi. Ach ja, übrigens: Es ist halb zwei Uhr früh, ich sollte dann langsam ins Bett gehen. 15 Minuten später AW: Ich schlage vor: Reden wir besser von Ihnen, damit sich Ihre Nerven beruhigen. – Sie wünschen mir einen »angenehmen Abend«. Ich reiße die Augen auf, ich öffne die Mitteilung. Zwölf Minuten später RE: Ach, zwei Dinge noch, Leo. Bei Leo Leike landen irrtümlich E-Mails einer ihm unbekannten Emmi Rothner. 50 Sekunden später AW: Wenn ich sehe, dass eine E-Mail von Ihnen einlangt, klopft mein Herz. 255 55 Sekunden später RE: Was haben SIE vor, Leo? Das heißt nicht, dass wir uns tatsächlich sehen sollten. »Was macht er da?«, hat sie nachgefragt. Ich mache nur noch eine Flasche Rotwein auf. Ich mache Leo-Pause. Ich weiß nicht einmal, ob ich etwas dazu sagen soll. Als offiziellen Grund habe ich Zeitmangel angegeben. Eine Minute später RE: Erholung von mir? Auf einem Wall Ihrer Wahl. Wenn sie es versuchen, wirken sie alt und verbraucht, so wie diejenigen, die sie herbeisehnen. Und noch ein Tipp: Sie sollten unbedingt das Thema »Klimaerwärmung« zur Sprache bringen. Kameraschnitt. Wenn man Musiker ist und spielt, lebt man Erinnerungen, als wären sie unmittelbare Ereignisse. Und wir haben (unter anderem auch) geredet. Ich würde Sie so gerne küssen. Lg, Emmi. Ich bin sehr verliebt in Sie. Ich merke, wie sehr sie sich quält, länger neben mir zu sitzen. Wenn ich neben ihr durch Amsterdam gehe, hole ich mir eine Lungenentzündung. Drei Minuten später RE: Na sicher, ich bin schon ganz aufgeregt. Zwei Tage später Kein Betreff Schon traurig, Emmi, wir haben uns nichts mehr zu sagen. Ihre Telefonnummer, wenn ich bitten darf! Liebe Frau Rothner, sind Sie beleidigt? Was meine letzte Ausflucht in das Eheversprechen betrifft: Mehr als mich selbst einen »Vollidioten« zu schimpfen, kann ich ohnehin nicht. Ganz egal, wer Sie sind. Aber sind Sie nur ein Teil von diesem, so sind Sie schon ein ganz besonderer. Uns geht es gut: Der Kleine hat seit Urlaubsbeginn Durchfall, die Große hat sich in einen portugiesischen Surflehrer verliebt. Sie ist eine Festung. Marlene hat mich begleitet. Wie sehr war es meine eigene Euphorie, die sich in ihr widerspiegelte, wie sehr liebte sie nur meine unbändige Liebe zu ihr und nicht mich selbst? Die Möbel starren mich vorwurfsvoll an. Ich weiß genau, worüber Sie nachdenken. Und hier noch ein guter Tipp, Ihren Humor betreffend: Ihren Satz »Ich war bereits knapp dran, mir ein LikeAbonnement zuzulegen« habe ich als zur Hoffung Anlass gebend empfunden! Grüne Schuhe, die so aussahen, als wären sie aus einer persönlichen Auswahl von 100 Paaren als Sieger des Sonntagnachmittags hervorgegangen. Wenn Sie sich mit mir danach gar nicht mehr unterhalten wollen? Ich treffe mich mit Ihnen SICHER NICHT im Messecafé Huber! Eineinhalb Minuten später RE: Langsam, langsam, Leo. Mittwoch, Donnerstag, Freitag? (lacht). Ich lache vor Glück. Jahrhunderts Daniel Glattauer, Gut gegen Nordwind (2006) Form des Briefromans – E-Mail-Roman Aspekt des Schwerpunkts „im Kontext neuer Medien“ E-Mail als Kommunikationsform literarisch thematisiert – Setting der virtuellen Begegnung Grundidee Die haben Sie ja ganz nett beschrieben, die drei! Ich habe alles nur gefühlt. 18 Tage später Betreff: Abbestellung Ich will mein Abonnement kündigen. (Ich muss kurz unterbrechen, wir haben eine Konferenz, nebenberuflich arbeite ich nämlich. Was wollen Sie von mir hören ...« Und so weiter. Also eine echte Emmi Rothner. Und wenn ich nur gerne vielleicht einen Hauch vom Geruch Ihrer Haare und Ihrer Haut inhaliert hätte? Ich trinke jetzt noch einen Schluck Weißwein aus der Friaul. Zehn Minuten später RE: Das kann nichts Gutes bedeuten. Holen Sie mich ruhig unsanft auf den Boden, aber lassen Sie mich nicht in der Luft. Von mir aus Stillstand. Bitte ehrlich! PS: Zu Punkt drei: Ich war erst einmal verheiratet. Kennen Sie den zufällig? Sie mag nicht, wie ich rede. Ich bin schon ein bisschen betrunken. Gluckslaute klingen dämlich. 30 Sekunden später RE: Nein, aber zum Lesen. Wenn Sie nun aber erklären, dass Sie für Ihre »Ei«-Mail länger als drei Minuten gebraucht haben, dann dürfte ich doch ein falsches Bild von Ihnen entworfen haben.